Von Hans Gerhard
Zugegeben, als die schwarze, drohende Skyline der Kreisstadt Saarlouis am Horizont immer größer wurde, verstummten langsam die Gespräche in unseren zwei Mannschaftsbussen, gesteuert von Sonja und Stéphane – Danke! – und wir, die Insassen, hingen unseren jeweiligen Gedanken nach.
Der erste Mannschaftskampf von Gambit zwo in der Verbandsliga Saarland West gegen Rochade Saarlouis Nummero uno lag nur noch Minuten entfernt. Was würde uns Liganeulinge in den prächtigen Zimmerfluchten der Christ-König-Gemeinde erwarten? Figuren aus purem Gold? Gegner in Anzügen, die hochdeutsch können?
Und tatsächlich – als wir das Spiellokal und gleichsam die neue Spielklasse betraten, dämmerte uns, worauf wir uns eingelassen hatten. In der Ecke brodelte eine Kaffeemaschine, die ein Vermögen gekostet haben muss, die Partieformulare aus Edelpapier glänzten mit den riesigen Brettern um die Wette, als unser neuer Mann an Brett zwei, Giorgios, um einen Kuli bat, wurde ihm ein Montblancfüller gereicht.
„Letztes Jahr, in der Bezirksklasse“, murmelte CVB ehrfürchtig, „waren mancherorts Spiele unvollständig, und Bauern mussten durch Feuerzeuge ersetzt werden …“
Als hätte das alles nicht schon gereicht, um uns einzuschüchtern, zupfte Wladi nervös an allen Ärmeln und lenkte unsere Aufmerksamkeit auf die Südwand des Saales, denn dort hing auf understatementverdächtigen eins zwanzig Höhe – eine Anzeigetafel. Wie in echt. In A4. Eingeschweißt, mit zwei Zahlenreihen für Heim (also die anderen) und Gast (also wir) in Halbpunktschritten Richtung Boden von null bis acht UND – echt jetzt – mit zwei verschiedenfarbigen Wäscheklammern, beide noch auf Null, die nur darauf warteten, auf die jeweils gültigen Zwischenstände geklemmt zu werden.
„Alle Wetter“, schnaufte Heinz Wirtz, unser Mann an Brett acht, „eine, eine Dings, eine … Anzeigetafel!“ und spätestens jetzt war uns allen klar, dass hier in der Verbandsliga West ein ganz, ganz anderer Wind weht.
Und dann ging es auch schon los.
Premiere-Reporter würden uns bestimmt als Multikultitruppe bezeichnen, aber wir stehen dazu – Sonja kommt halt aus St. Ingbert, na und? Und ich aus Braunschweig. Geh damit um, Verbandsliga West!
Da Jean-Claude Bernier leider nicht konnte, rückte alles ab sieben (also ich) eins auf und Heinz Wirtz auf die Acht. Dieser sorgte dann auch nach etwa siebzehn Minuten und 81 gespielten Zügen (irgendwann kann man’s halt auswendig) für den ersten Punkt, alle hatten mit Remis gerechnet, aber wohl den gegnerischen Doppelbauern übersehen. Großer Respekt!
Auch Stéphane Milutinovic an drei brachte wenig später seine Zentrumsbauern überlegen zum Sieg durch, und die violette Wäscheklammer rutschte in der Gastleiste auf die Zwei. Yes!
Aber es gibt keine leichten Siege in der Verbandsliga West – El Presidente CVB konnte seine gute Stellung an fünf nicht verwerten und empfand den halben Punkt als ganze Niederlage, Sonja und Wladi standen durchwachsen bis suboptimal, wenn ich die Stellungen an eins und zwei (Josef Stephanus und Giorgios Christodolou) richtig bewerten könnte, würde ich ja selber dort spielen – keine Ahnung also, aber ich spürte: diese Aubergine war noch nicht filetiert.
Trotzdem: zweieinhalb zu einhalb (so oft hatte ich noch nie Wäscheklammern in der Hand). Für uns. War es die Vorfreude auf Klausenkaltgetränke, die uns nachlässig werden ließ? Ich habe gepredigt, gedroht, gefleht, aber Wladi ist von seiner Skandinavischneigung nicht abzubringen – dabei sollte er wissen: Schweden können Möbel, Popmusik und Biathlon, aber ums Verrecken keine gute Eröffnung herstellen – in den Büchern nur komische Piktogramme, und irgendwann fehlt immer eine Schraube, bzw. in Wladis Fall ein Bauer, null points an „kattre“, Saarlouis war wieder im Geschäft, gehässig grinste die grüne Wäscheklammer von der Eineinhalb auf der Heimleiste.
Dann aber – die vielen Gs im letzten Satz haben es angedeutet – Hans Gerhards erstes Tor für Gambit! Meine legendär – desaströse Endspieltechnik scheint sich noch nicht nach Saarlouis herumgesprochen zu haben, so dass mein Gegner mit zwei Bauern nebst Qualität weniger aufgab: dreieinhalb zu eineinhalb.
Der Kaffee schmeckt nach Auftaktsieg. Die Handflächen werden feucht. Dann Rascheln im Nordflügel – Josef hat den halben Punkt am Spitzenbrett souverän realisiert und widmet sich fortan seiner Bildzeitung. Die Vier perfekt, das Unentschieden auch.
Aber zwei, nämlich Sonja und Giorgios, spielen noch. Da könnte doch … und wirklich! Sonja gelingt es irgendwie, den gegnerischen Mehrturm nicht ihre zwei die Bezeichnung nicht verdienenden Freibauern aufhalten zu lassen, gar nicht einfach, wenn man drüber nachdenkt, aber hat ja auch keiner behauptet, dass es einfach würde, das Unglaubliche wird wahr, nach verschiedenen Verwicklungen, die bei zahlreichen Schaulustigen Zweifel an den FIDE – Regeln und den Naturgesetzen überhaupt auslösen, obsiegt Frau Noll und macht das Fünf Zwo amtlich – unsere Wäscheklammer hängt uneinholbar unter der Wäscheklammer von Rochade Saarlouis!
La Ola brandet durch die Räume der Christ-König-Gemeinde Saarlouis. Als Dreingabe gelingt es Giorgios an der Zwei, seine existenzielle Zeitnot (Züge 36 bis 40 in drei Sekunden vor Ultimo) unbeschadet zu überstehen und den ganzen Punkt einzufahren: sechs zu zwei.
In Worten: Sechs zu Zwei. Auswärtssieg. Spitzenreiter. IM Normen. Das volle Programm. Unglaublich. Wir liegen einander in den Armen und warten darauf, dass Sönke Wortmann (Anmerkung des Webmasters: „bitte nicht der!“) „Action“ ruft, dann zwicken wir uns.
Und wachen auf. Es waren erst zwei Punkte, trotz allem, die Saison ist noch lang. Aber so kann es weitergehen. Jetzt nicht die Bodenhaftung verlieren. Den Ball flachhalten. Weiter hart arbeiten. Von Spiel zu Spiel denken. Bis in zwei Wochen. Prost.
Für Freaks noch die nackten Zahlen in einer Tabelle, die ich mit Hilfe von Word selbst gemacht habe, dann ist auch gut:
Paarung | Ergebnis |
---|---|
Engel – Stephanus | 1/2 : 1/2 |
Maurer – Christodoulou | 0 : 1 |
Ihl – Milutinovic | 0 : 1 |
Schäfer – Panfilenko | 1 : 0 |
Gerhard (nicht ich!) – v. Brochowski | 1/2 : 1/2 |
Assaf – Noll | 0 : 1 |
Jost – Gerhard (ich!) | 0 : 1 |
Scholl – Wirtz | 0 : 1 |